Mittels speziellem Vibrationstraining können COPD-Patienten „sporteln“, ohne außer Atem zu kommen

Power Plate(R) gilt seit einiger Zeit als der Renner in Fitnessstudios. Mithilfe einer Vibrationsplatte, auf der die Übungen erfolgen, werden durch Schwingungen Muskelreflexe ausgelöst und dadurch die Muskulatur trainiert. Nun hat eine besondere Form dieser Muskelaktivierung als Ganzkörper-Vibrationstraining Einzug in die Medizin gehalten: COPD-Patienten, die auf Grund ihrer Erkrankung nicht in der Lage sind, einen „Alltagssport“ auszuüben, ja mitunter nicht einmal kurze Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen, können mit dieser Methode „sporteln“, ohne außer Atem zu kommen. Selbst bei bettlägerigen Patienten kann diese neue Trainingsmethode erfolgreich angewandt werden. Im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) in Innsbruck wurden die Ergebnisse mehrerer Studien vorgestellt, die den Erfolg dieser neuen Therapieform in der Praxis auch wissenschaftlich untermauern.

„10 Minuten Power Plate statt 1½ Stunden schweißtreibendes Training“ – so oder so ähnlich preisen Fitnessstudios ein Ganzkörper-Vibrationstraining an, mit dem man angeblich abnehmen, Muskeln aufbauen oder Rückenprobleme in den Griff bekommen kann. Ohne zu schwitzen und ohne außer Atem zu kommen. Diese Trainingsform wurde ursprünglich in der russischen Raumfahrt entwickelt, um den degenerativen Effekten der Schwerelosigkeit auf Muskeln und Knochenstrukturen entgegenzuwirken. Und dieses Prinzip, auf das seit einiger Zeit Fitness- und Wellness-Gurus schwören, ist nun (wieder) in der Medizin angekommen: Untersuchungen bei teils schwerkranken Patienten*, die an chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, kurz COPD („Raucherlunge“), leiden, zeigen, dass diese Patienten auf vielfältige Weise von einem speziellen Ganzkörper-Vibrationstraining (WBV – Whole Body Vibration) profitieren können.

Nicht nur die Lunge, auch die Muskeln leiden

Bei COPD-Patienten finden nicht nur entzündliche Prozesse in der Lunge statt, sondern auch in den Muskeln. In der Folge kommt es zu Muskelabbau und einem Umbau der Muskelfasern. Die Muskelkraft ist dadurch im Vergleich zu gesunden Menschen deutlich reduziert. Da COPD-Patienten oft noch an zusätzlichen Krankheiten (Komorbiditäten) wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden, wäre aber gerade körperliches Training von größter Wichtigkeit. Aufgrund ihrer „Atemlosigkeit“ ist aber ein konventionelles Training für diese Patienten oft gar nicht möglich. Genau hier kann eine spezielle Form des Ganzkörper-Vibrationstrainings höchst erfolgreich zum Einsatz gebracht werden, wie aus aktuellen Untersuchungen des Universitätsklinikums Marburg hervorgeht. Der renommierte deutsche Wissenschaftler Univ.-Prof. Dr. Andreas Rembert Koczulla vom Universitätsklinikum Marburg stellte auf der ÖGP-Jahrestagung die Trainingsmethode und die neuesten Ergebnisse vor: Während bei einigen Geräten wie z.B. der Power Plate der Haupt-Kraftvektor, also die Vibration, in der Summe eher von oben nach unten gerichtet ist, handelt es sich bei dem häufig in der Wissenschaft verwendeten Galileo-Gerät um eine Muskelaktivierung, die durch die seitenalternierende Bewegung der Standplatte ausgelöst wird. Das heißt, die Platte bewegt sich nach oben und unten, was als Vibration wahrgenommen werden kann und löst über die Muskelspindeln einen Dehnreflex mit anschließender Muskelkontraktion aus: Damit wird, physiologisch gesehen, ein Gehen simuliert.

Auch auf die Haltung kommt es an

Durch eine Veränderung der Fuß- und Körperstellung können auch Beckenboden- und Körperstammmuskulatur unterschiedlich aktiviert werden. Arm- und Schultermuskulatur können zusätzlich mit einer speziellen Vibrations-Hantel trainiert werden. Auch die Frequenz der Vibrationen spielt eine Rolle. Koczulla: „Die Frequenz und die Amplitude, die über die Fußstellung kontrolliert wird, haben Einfluss auf das Trainingsziel. Dies kann von einer Muskellockerung bei niedriger Frequenz bis zu 10 Herz über ein Gleichgewichtstraining (Propriozeption) bis hin zum Muskelaufbautraining mit hohen Frequenzen ab 20 Herz erfolgen. Wichtig ist hierbei eine fachkundige Einweisung und Anleitung.“

Studien belegen Effekte des Trainings

Um die Effektivität in der Praxis auch wissenschaftlich abzusichern, führten die Wissenschaftler um Koczulla diverse Studien zum WBV durch. In einem Buchartikel mit einer Metaanalyse fasste Koczulla wichtige Ergebnisse zum Sport von COPD-Patienten zusammen und ging dabei auch auf das Ganzkörpervibrationstraining ein („Therapie und Prävention durch Sport“, Band 4: Innere Medizin/Pädiatrie, F. Mooren, G. Knapp, C.D. Reimers (Hrsg)): „Die Metaanalyse bezog sich auf verschiedene Untersuchungen an Patienten mit unterschiedlichem COPD-Schweregrad. Auch die Settings waren unterschiedlich – teilweise ohne zusätzliches Training, teilweise mit zusätzlicher Physiotherapie und Atemtraining oder zusätzlichem Kraft- und Ausdauer- oder auch Yoga-Training. Auch die Länge und Intensität der jeweiligen Trainingseinheiten waren unterschiedlich. Zusammenfassend kann aber gesagt werden, dass das zusätzliche oder alleinige WBV-Training eine Summe von Vorteilen bringt: Die Gehstrecke der Patienten konnte mittels WBV deutlich verbessert werden, das mehrmalige Aufstehen und Setzen erfolgte schneller als bei Vergleichsgruppen, die krankheitsbedingten Veränderungen der Muskulatur konnten quantitativ und qualitativ verbessert werden, die Muskelkraft und auch die subjektiv empfundene Lebensqualität[1] konnte erhöht werden. Diese Beobachtungen und Messungen ließen sich auch biologisch abbilden, erläuterte Koczulla: Es konnte eine Abnahme verschiedener Entzündungsparameter[2] sowie eine Erhöhung von Muskel-Aktivitätsparametern[3] nachgewiesen werden. Koczulla: „Zur Zeit laufen groß angelegt multizentrische Studien, die uns weitere Ergebnisse dazu bringen sollen.“

Ganzkörper-Vibrationstraining – als möglicher fixer Bestandteil moderner COPD-Therapie?

Das Problem ist: wenig oder keine Bewegung bedeutet frühere Sterblichkeit. Gerade bei COPD-Patienten, die an schwerster Atemnot und diversen Komorbiditäten leiden, wäre aber Bewegung zur Verbesserung und Stabilisierung ihres Gesundheitszustandes von größter Notwendigkeit. Wie aber „sporteln“, wenn man schon im Ruhezustand kaum Luft bekommt? Koczulla: „Gerade hier, bei Patienten mit so einem schlechten Allgemeinzustand, man spricht von ‚Frailty‘, also Gebrechlichkeit, ist moderates körperliches Training extrem wichtig. Auch im Hinblick darauf, sie so weit zu empowern, dass sie ihren Alltag wieder allein meistern können und vor allem, um eine drohende Exazerbation, also eine dramatische Verschlechterung ihres Zustandes und die daraus resultierenden Spitalsaufenthalte, zu verhindern oder zumindest zu verringern.“ Es gibt Bestrebungen, so Koczulla weiter, WBV-Geräte auch für den Betteinsatz umzubauen, so dass auch besonders konditionslose und bettlägerige Patienten eine Trainingsoptionen eröffnet bekommen.

Koczulla abschließend: „Wegen der guten Akzeptanz bei den Patienten und der Kürze der Trainingsphasen bei nachgewiesener Effektivität wird das WBV in Zukunft ein wichtiger Bestandteil in den Therapie-Konzepten der COPD sein. Allerdings muss diese Therapie – genauso wie ‚herkömmlicher Sport‘ – ein Leben lang fortgesetzt werden.“

 

 

 

 

 

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet. Sofern nicht anders vermerkt, gelten alle Bezeichnungen sowohl für Frauen als auch für Männer.

6. Oktober 2017

 

Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Andreas Rembert Koczulla
FA für Innere Medizin, Pneumologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin
Klinik für Pneumologie
Oberarzt am Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg
Baldingerstraße 1
D-35033 Marburg
Tel. +49 (0)6421 – 586 3691
E-Mail: koczulla@med.uni-marburg.de
 

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[1] Basierend auf den Auswertungen des St. George Respiratory Fragebogen

[2] Entzündungszytokine wie Interleukin 8

[3] wie das Hormon Irisin und der Transkriptionsfaktor Peroxisome Proliferator Rezeptor Gamma Co-Aktivator-1-alpha (PGC1a)