Frischer Wind bei der Behandlung von seltenen Lungenerkrankungen

ÖGP-Jahrestagung 2019

Obwohl die sogenannten interstitiellen Lungenerkrankungen sehr selten sind – in Österreich leiden aber immerhin fast 8.500[1] Menschen daran – hat die medizinische Wissenschaft in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte im Verständnis der Prozesse erzielt, die der Entstehung dieser Krankheiten zugrunde liegen. Die Forschungsergebnisse ermöglichten die Entwicklung neuer, innovativer Medikamente, die mittlerweile auch zugelassen sind und in der Praxis zur Anwendung kommen. Die neuen Arzneimittel können die chronischen Vernarbungsprozesse im Lungengewebe zwar nicht stoppen, aber bedeutend verlangsamen. Und damit steigen Lebenserwartung und Lebensqualität der Betroffenen beträchtlich. Im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) von 10. bis 12. Oktober in Wien wurden diese neuen Erkenntnisse präsentiert.

„Lungenerkrankungen wie Bronchitis, Asthma bronchiale, Lungenentzündung, COPD und Lungenkrebs treten sehr häufig auf und sind den meisten Menschen bekannt. Bei vielen dieser Erkrankungen wurden in den letzten Jahren beachtliche medizinische Fortschritte erzielt. Nichtsdestotrotz gibt es eine weitere Gruppe von schweren Lungenerkrankungen, die zwar in Summe sehr selten auftreten, aber für die Betroffenen eine enorme Einschränkung des täglichen Lebens bedeuten und meist auch die Lebenserwartung drastisch reduzieren. Das sind die sogenannten interstitiellen Lungenerkrankungen“, erläuterte OA Dr. Sabin Handzhiev, Leiter des Arbeitskreises für Interstitielle Lungenerkrankungen und Orphan Diseases der ÖGP und Oberarzt an der Klinischen Abteilung für Pneumologie, Universitätsklinikum Krems, die Ausgangssituation.

Was sind interstitielle Lungenerkrankungen?
Zu den interstitiellen Lungenerkrankungen (Interstitial Lung Disease, ILD) zählen verschiedene Krankheiten, die die Lungenbläschen (Alveolen) und vorwiegend das Lungengerüst (Interstitium) verändern. „Die Krankheitsprozesse finden bei den interstitiellen Lungenerkrankungen im Gegenteil zu den allgemein besser bekannten Lungenerkrankungen nicht in den Atemwegen und den oberflächlichen Strukturen der Lungen, sondern im Lungengewebe statt“, führte Handzhiev aus. Es kommt, vereinfacht gesagt, zu einer Häufung von Entzündungszellen im Lungengewebe, einer krankhaften Vermehrung von Bindegewebe (Fibrose) und schließlich zu einer Vernarbung des Lungengewebes. Alle interstitiellen Lungenerkrankungen haben ein gemeinsames Erscheinungsbild: Die Betroffenen leiden an Husten und langsam zunehmender Atemnot – nur zunächst bei starker Belastung, später bei alltäglichen Aktivitäten und dann sogar auch in Ruhe. Diese Symptome sind oft durch verminderte Belastbarkeit, Appetitlosigkeit und Depressionen begleitet und schränken die sozialen Kontakte und die Lebensqualität stark ein.

Exogene und endogene Ursachen und Auslöser
Ursache für interstitielle Lungenerkrankungen ist nach aktuellem Wissensstand eine Kombination aus genetischen Faktoren und endo- oder exogenen Auslösern. „Diese können sehr vielfältig sein: z.B. Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, verschiedene Krankheitserreger oder Umwelteinflüsse, wie berufliche Schadstoffexposition, Einatmen von Schimmelpilzsporen, tierischen Proteinen, verschiedene Umweltgifte (Zigarettenrauch!), aber auch Medikamente und vieles andere. Wenn es gelingt, die Ursache genau einzugrenzen, sind diese Erkrankungen mitunter als z.B. Staublunge, Asbestlunge, Vogelzüchterlunge, Farmerlunge oder ähnliches benannt“, erklärte Handzhiev.

Heute kennt man über 100 interstitielle Lungenerkrankungen. Allerdings sind bei vielen davon die Auslöser unbekannt. Die häufigste Erkrankung aus der Gruppe der ILD mit unbekannter Ursache ist die idiopathische Lungenfibrose (IPF). „Hier ist die Diagnosestellung oft schwierig und die Prognose leider sehr schlecht. Die Überlebenswahrscheinlichkeit ist ähnlich zum Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Von der IPF sind ca. 500 bis 700[2] Patienten* in Österreich betroffen“, so Handzhiev.

Neue Erkenntnisse verbessern Behandlung markant
In den letzten Jahrzehnten sind diese seltenen Lungenkrankheiten mit immunsuppressiven Medikamenten, die die Funktionen des Immunsystems vermindern, behandelt worden. Handzhiev: „Die entsprechenden Medikamente haben aber viele Nebenwirkungen, und eine eindeutige Wirkung konnte durch Studien mit großen Patientenzahlen nicht eindeutig belegt werden. Wie sich später herausstellte, waren manche Behandlungskonzepte sogar eher von Nachtteil als von Nutzen.“

Dank Grundlagenforschung konnten in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte im Verständnis der Krankheitsprozesse erzielt werden. Zunehmend weiß man, welche genetischen Veränderungen verantwortlich sind, welche Zusammenhänge mit dem Alterungsprozess bestehen, und wie gemeinsame Wege in der Entstehung vom Lungenkrebs und interstitiellen Lungenerkrankungen zustande kommen. „Diese neuen Forschungsergebnisse ermöglichten die Entwicklung neuer und innovativer Medikamente, die die chronischen Vernarbungsprozesse im Lungengewebe zwar nicht stoppen, aber bedeutend verlangsamen können. Und damit steigen die Lebenserwartung und die Lebensqualität der Betroffenen“, erläuterte Handzhiev. „Neueste Studienergebnisse zeigen sogar noch weitere Behandlungsvorteile durch diese ‚antifibrotischen‘ Medikamente auch bei anderen Formen von Lungengewebserkrankungen.“ Die antifibrotische Therapie sei aber nur bei korrekter Diagnosestellung sinnvoll und sollte auch immer in Absprache mit den zuständigen Krankenkassen begonnen werden.

Lungentransplantation als letzter Ausweg
Im Fall einer fortgeschrittenen Erkrankung sollte eine Lungentransplantation in Erwägung gezogen werden. Diese ist prinzipiell bis zum Alter von 65 Jahren möglich. Je nach körperlicher Verfassung, Fitness und Begleiterkrankungen kann diese Grenze aber auch nach oben verschoben werden. Handzhiev: „Österreich kann hervorragende Überlebensdaten bei Lungentransplantationen aufweisen und liegt hier weltweit unter den besten Nationen.“

Bei einer sehr fortgeschrittenen interstitiellen Lungenerkrankung liegt der Schwerpunkt der Behandlung im Lindern des Leidens, also z.B. der Atemnot. Ein wichtiger Teil der Behandlungsmethoden ist hier die Sauerstofftherapie, welche sowohl bei Belastung als auch in körperlicher Ruhe erforderlich sein kann.

Resümee
Abschließend fasste OA Handzhiev zusammen: „Die Lungengewebserkrankungen sind zwar selten, beeinflussen aber das Leben der Betroffenen und deren Familien enorm. Manche dieser Krankheiten sind durch einen gesunden Lebensstil und saubere, rauchfreie Umgebung vermeidbar. Viele jedoch nicht. Eine möglichst frühzeitige Diagnosestellung und kompetente Behandlung in spezialisierten Zentren in Krankenhäusern sind von großer Bedeutung. Dank der neuen Medikamente können wir nicht nur die Lebensqualität und den Krankheitsverlauf der Patienten mit interstitiellen Lungenerkrankungen und hier vor allem der bisher schwer beherrschbaren idiopathischen Lungenfibrose positiv beeinflussen, sondern auch ihre Lebensqualität verbessern. Diese bisher vernachlässigte Gruppe von Lungenerkrankungen beschäftigt zunehmend Lungenfachärzte und österreichische Forscher. Die Österreichische Gesellschaft für Pneumologie unterstützt diese Ambitionen intensiv. Ziel ist es, den Leidendruck der Patienten zu verringern, die Lebenserwartung und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und ein verstärktes Bewusstsein für diese seltenen, aber durchaus schwerwiegenden Erkrankungen zu schaffen.“

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet. Alle Bezeichnungen gelten sowohl für Frauen als auch für Männer.

Kontakt

OA Dr. Sabin Handzhiev
Leiter des Arbeitskreises für Interstitielle Lungenerkrankungen und Orphan Diseases der ÖGP
Klinische Abteilung für Pneumologie
Universitätsklinikum Krems
Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften
Mitterweg 10
3500 Krems an der Donau
Tel.: +43 (0)2732 9004 2404
E-Mail: sabin.handzhiev@krems.lknoe.at

Rückfragen Presse

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Barbara Urban: +43 664/41 69 4 59, barbara.urban@medical-media-consulting.at

[1] Prävalenz 97.9 pro 100.000 Einwohner (Duchemann, B et al. Prevalence and incidence of interstitial lung diseases in a multi-ethnic county of Greater Paris, European Respiratory Journal 2017; 50:9); für 8.733.000 Österreicher bedeutet dies hochgerechnet 8.470 Betroffene.

[2] Prävalenz 4 bis 8 pro 100.000 Einwohner