Der aus Tirol stammende Harvard-Professor und Thorax-Chirurg Dr. Harald Ott beschäftigt sich seit gut zehn Jahren in seinem Labor in Boston, USA, mit der Entwicklung biologischer Ersatzorgane als Alternative zu Spenderorganen Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam arbeitet Ott an der Entwicklung von biologischen Kunst-Organen als Ersatz für Herz, Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse und Lunge. Ziel ist es, eines Tages mithilfe im Labor „gezüchteter“ Organe den großen Bedarf an Transplantationsorganen decken zu können. Im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie, ÖGP, (18. bis 20. Oktober in Linz) berichtete Ott über die bahnbrechenden Erkenntnisse seiner Forschung und was dies für die Zukunft der Transplantationsmedizin bedeutet.

„Wir haben ein Verfahren entwickelt, das es möglich macht, mit einer speziellen Lösung ein Organ einer toten Ratte, eines toten Schweins aber auch eines verstorbenen Menschen komplett von seinen Zellen zu befreien. Was übrigbleibt, ist ein Bindegewebe-Gerüst, das wir zum Beispiel mit Lungenzellen des künftigen Organempfängers besiedeln. Das Ziel ist, dass ein so – quasi im Reagenzglas – geschaffenes Organ voll funktionsfähig ist und anstelle eines Spenderorgans transplantiert werden kann. Der enorme Vorteil: Da es sich um körpereigene Zellen des Empfängers handelt, gibt es keine Abstoßungsreaktion. Der Patient* muss nicht mehr eine lebenslange immunsupressive, also das körpereigene Immunsystem unterdrückende, Medikation erhalten. Theoretisch kann er mit dem neuen künstlichen Organ ganz normal weiterleben“, so Ott, der an der Harvard Medical School Chirurgie lehrt und als Thorax-Chirurg im Massachusetts General Hospital in Boston tätig ist.

Großer Bedarf an Spenderorganen

Auch wenn die Transplantationsmedizin heute sehr weit ist und die Behandlung von Patienten mit Organversagen revolutioniert hat, gibt es bei herkömmlichen Spender-Transplantaten limitierende Faktoren. Ott, der in Boston mit dem Ott Laboratory for Organ Engineering and Regeneration über eine eigene Forschungseinrichtung verfügt: „Einerseits gibt es nur eine sehr begrenzte Anzahl von Spenderorganen. Weltweit werden pro Jahr an die 5.000 Lungen transplantiert. Weltweit sterben pro Jahr aber mehr als 3 Millionen Menschen an den Folgen einer chronischen Lungenerkrankung. Die Wartezeiten für eine Spenderlunge können sich über Jahre erstrecken und die Lebensqualität während dieser Zeit ist oft dramatisch schlecht. Viele Patienten sterben während der Wartezeit auf ein geeignetes Spenderorgan.“

Immunsystem als limitierender Faktor bei Organspende

Und wenn ein passendes Organ gefunden wurde, beginnt nach der Transplantation der Kampf mit dem Immunsystem – das transplantierte Organ wird vom Empfänger als fremd erkannt und abgestoßen, wenn nicht eine lebenslange, das Immunsystem unterdrückende, Therapie verabreicht wird. Doch selbst hier kommt es immer wieder zu Abstoßungsreaktionen und die Patienten müssen wieder auf die Warteliste gesetzt werden. Eine enorm belastende Situation, oft mit tödlichem Ausgang.

Die Lösung: künstliche „körpereigene“ Ersatzorgane

Aufbauend auf den Erkenntnissen des „Tissue Engineering“, also der künstlichen Herstellung von biologischem Gewebe, beschäftigen sich Ott und sein Team seit über zehn Jahren mit der Fragestellung: Ist es möglich, von den Zellen eines Patienten ein ganzes, funktionsfähiges Ersatzorgan „im Reagenzglas“ herzustellen?

Das Geheimnis dazu liegt in den Stammzellen. Diese „Vorläuferzellen“ sind nämlich multi- oder pluripotent, das heißt, sich können sich prinzipiell zu jedem Organgewebe entwickeln. Im Embryo entwickeln sich aus Stammzellen spezifische Gewebszellen, die dann unter anderem die Organe bilden. Aber auch beim Erwachsenen gibt es Stammzellen. Man findet sie in vielen verschiedenen Geweben, allerdings jeweils nur in geringer Anzahl. Sie sind zuständig für Erneuerung, Reparatur und Heilung. Sie finden sich u.a. im Gehirn, im Knochenmark und in der Haut. Sehr vereinfacht beschrieben: Im Ott-Laboratory werden z.B. Stammzellen aus dem Blut eines Erwachsenen entnommen und durch spezielle Verfahren zu Stammzellen „zurückentwickelt“. Dann werden die so gewonnen Stammzellen durch gezielte Stimulation dazu gebracht, sich zum Beispiel zu Lungenzellen zu entwickeln.

Bei Ratten und Schweinen bereits erste Erfolge

Harvard-Forscher Ott: „Wir versuchen dann, mit den so gewonnen Stammzellen auf dem Gerüst von Schweinelungen neues menschliches Lungengewebe herzustellen. Vor fast 10 Jahren ist dies bei Ratten gelungen, vor einem Jahr haben wir die erste humane bioartifizielle, also biologisch-künstliche Lunge im Großtiermodell transplantiert. Aber von einer klinischen Anwendung sind wir noch weit entfernt“, reduziert Ott zu große Hoffnungen für die nahe Zukunft. „Das neue Gewebe ist unreif und kann sich noch nicht an den Empfänger anpassen. Nach wenigen Stunden versagen diese biologischen Organe und müssen wieder entnommen werden.“

Der Grund dafür ist, dass das regenerierte Organ noch nicht in der Lage ist, sich dem Empfängerorganismus anzupassen und die Funktion eines normalen Organes voll zu übernehmen. So ist zum Beispiel das Gefäßsystem noch nicht „wasserdicht“, infolge schwellen die Lungen an und können damit nicht mehr beatmet werden. Ott: „Wir arbeiten daher daran, die regenerierten Organe im Labor für die Implantation besser vorzubereiten, und so die Funktion zu ‘trainieren‘. Als Alternative entwickeln wir Strategien, die es uns ermöglichen, das Organ im Körper selbst reifen zu lassen, während wir seine Funktion für diesen Zeitraum maschinell ersetzen.“

Angewandte Entwicklungsbiologie

Sowohl bei der Lunge als auch beim Herz gelingt es Ott und seinem Team bereits, die Bausteine zur Gewebeformung, also die notwendigen Zellen, herzustellen. Aber beide Gewebe sind noch nicht reif genug, um wie ein erwachsenes Organ zu funktionieren. Die Lungenarchitektur mache die Gewebeformung leichter, da das Gerüst einer Lunge die Zellbesiedelung einfacher ermögliche, erklärte Ott. Beim Herz ist es schwieriger ein gewachsenes solides Gewebe herzustellen. Ott: „Wir versuchen Prozesse der Entwicklungsbiologie, insbesondere Prozesse aus der späteren Phase der Embryonal- und Fötal-Periode im Labor zu replizieren, um das „Wachsen“ eines Herzmuskels zu ermöglichen. Wir nehmen uns also die Natur zum Vorbild und versuchen zu imitieren, was während der Emryonalentwicklung natürlich vor sich geht, also wir betreiben angewandte Entwicklungsbiologie. Es geht ja hier darum, Muskeln nicht aus neu geschaffenen Zellen „zusammenzubauen“, sondern sie zu einem Organ heranwachsen zu lassen. Nur so kann dieses auch alle Funktionen erfüllen.“

Die Lunge aus dem Reagenzglas – „Not if but when“?

Durch den Fortschritt in Stammzellforschung und Entwicklungsbiologie, im Bioengineering, und der Transplantationsmedizin werden stete Fortschritte in Richtung der klinischen Umsetzung von künstlichen Organen erzielt. Die Lunge wird aber nicht die erste Anwendung sein, so Ott, da sie sehr viele, sehr komplexe Funktionen erfüllt: Sie stellt eine wichtige Barriere zur Außenwelt dar, muss mit diversen Schadstoffen und Umweltgiften fertig werden, und den Gasaustausch in Ruhe und unter Belastung ermöglichen. Andere, weniger komplexe Gewebe, zum Beispiel künstliche Bauchspeicheldrüsen zur Behandlung des Diabetes, befinden sich schon in klinischen Studien. Ott: „Es ist nicht eine Frage ob, sondern wann wir bioartifizielle funktionsfähige Organe implantieren können. Wir werden in der Lage sein, Organfunktionen Schritt für Schritt durch künstliche, biologische Gewebe zu ersetzen. Aber wann, das kann ich nicht voraussagen. Das Prinzip der Organregeneration, also der Herstellung von funktionierendem menschlichen Gewebe im Labor wurde im Experiment bereits vielmals bewiesen. Nun gilt es, dieses Gebiet sicher in die klinische Anwendung zu bringen.“

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet. Sofern nicht anders vermerkt, gelten alle Bezeichnungen sowohl für Frauen als auch für Männer.

 

19. Oktober 2018

 

Kontakt

Dr. Harald Ott
Associate Professor

Massachusetts General Hospital
Leiter des Ott Laboratory for Organ Engineering and Regeneration
185 Cambridge Street, Boston, USA
+1 617-726-2066
E-Mail: hott@mgh.harvard.edu

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