Die Krebstherapie ganz allgemein und auch die des Lungenkrebses erlebt Durchbrüche, an die vor Jahren niemand zu denken gewagt hat. Eine der wesentlichsten Entwicklungen ist die Tatsache, dass die mit gefürchteten Nebenwirkungen verbundene Chemotherapie als erster Therapieschritt für einen erheblichen Teil der Patienten nicht mehr erforderlich ist. Der Grund dafür liegt in einem radikal verbesserten Verständnis des Lungenkrebses, das den hochspezifischen Einsatz moderner Therapieformen ermöglicht.

„Früher hat jeder Lungenkrebspatient eine Chemotherapie mit all ihren möglichen schweren Nebenwirkungen bekommen – heute kann bei rund der Hälfte der Patienten die ‚Chemo‘ bereits in der Erstlinientherapie vermieden werden. Mit allen daraus resultierenden Vorteilen für den Patienten“, so OA Dr. Maximilian Hochmair, Leiter der Onkologischen Ambulanz und Tagesklinik am Otto-Wagner-Spital in Wien. Der Grund dafür: Zielgerichtete Therapien und die Immuntherapie können heute bereits im ersten Behandlungszyklus (Erstlinientherapie) des Lungenkrebses (Bronchuskarzinom) zum Einsatz kommen. In der Vergangenheit war dies nicht der Fall: Diese kostenintensiven Therapien wurden nämlich erst eingesetzt, wenn die Behandlung mittels Chemotherapie nicht den gewünschten Erfolg zeigte. Die „Kosten-Nutzen-Rechnung“ für den Patienten sei dadurch deutlich besser geworden – auch wenn diese Therapien natürlich sehr teuer sind, wie Hochmair einräumt. „Aber der Patient erspart sich die Nebenwirkungen der Chemotherapie, die ja alle sich im Körper schnell teilenden Zellen angreift, also auch gesunde. Zielgerichtete Therapien hingegen greifen nur ein ganz spezielles Ziel am Tumor und somit nur den Tumor an, Immuntherapien aktivieren das körpereigene Abwehrsystem. Das bedeutet für den Patienten weniger Nebenwirkungen und bessere Behandlungsergebnisse!“

Den Krebs besser „verstehen“ und gegebenenfalls “anheizen“

Hochmair: „Wir haben heute auch ein weitaus besseres Verständnis der Erkrankungen. Auf dem Gebiet der Grundlagenforschung haben wir weitreichende Erkenntnisse gewonnen und so können immer mehr Zielstrukturen an Tumoren identifiziert werden. Und genau diese werden dann mittels moderner zielgerichteter Therapien und/oder der Immuntherapie immer erfolgreicher therapeutisch in Angriff genommen.“

Jene Patienten, bei deren Tumor kein Ziel (= Target) gefunden wurde, müssen allerdings weiterhin mit einer Chemotherapie behandelt werden. „Aber auch hier gibt es neue Erkenntnisse“, zeigt sich Hochmair optimistisch. „Wir geben zum Beispiel eine Kombination aus Chemo- und Immuntherapie, wobei durch die Chemotherapie der Tumor gleichsam ‚angeheizt‘ wird. In der Folge schüttet er immunmodulierende Substanzen aus, die das Immunsystem stärken, und dann greift die Immuntherapie besser.“

Biomarker weisen den Weg

Ein weiterer enormer Fortschritt ist, so Hochmair, dass heute eine Vielzahl von Biomarkern bekannt ist. Das sind charakteristische Merkmale am Tumor, die objektiv gemessen werden können. Mit ihrer Hilfe können sowohl prognostische Aussagen, also den Krankheitsverlauf betreffende, als auch prädiktive Aussagen, also die Wahrscheinlichkeit des Ansprechens auf ein bestimmtes Medikament, getroffen werden. Von zunehmender Wichtigkeit sind die prädiktiven Biomarker, denn damit kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen, auf welche Therapieform der jeweilige Tumor voraussichtlich am besten ansprechen wird. Hochmair: „Man kann heute dank immer neu identifizierter Biomarker also viel genauer voraussagen, wer auf welche Therapie wie ansprechen wird.

Hochmair verdeutlicht dies am Beispiel des Biomarkers EGFR: Der EGF-Rezeptor wird in verschiedenen Tumorarten hochreguliert und/oder in mutierter Form vorgefunden, was dazu führt, dass die Tumorzellen unkontrolliert wachsen und sich vermehren. Als Folge davon kommt es bei Tumoren mit diesem Biomarker oft auch zu einer verstärkten Metastasenbildung, also Absiedlung von Tochter-Krebszellen. Moderne zielgerichtete Krebstherapien zielen darauf ab, dieses onkogene Signal von EGFR zu blockieren und somit das Tumorwachstum zu unterbinden. Hochmair: „Liegt also eine EGFR-Mutation im Tumorgewebe vor, kann man dem Patienten die Chemotherapie ersparen und ihn bereits in der Erstlinientherapie mit einer zielgerichteten Therapie behandeln. Als 2007 die ersten Medikamente, die am Wachstumsfaktor EGFR angreifen, auf den Markt kamen, haben nur 10% der Patienten, die diese Therapie erhalten haben, davon auch wirklich profitiert. Heute kann man viel genauer voraussagen, wer darauf anspricht und wer nicht. Dadurch wird wertvolle Zeit gewonnen, den Patienten viel Leid erspart und die Erfolgsquote enorm erhöht.“

Auch besseres Verständnis der Immuntherapie gewonnen

Eine ähnliche Entwicklung hat es bei der Immuntherapie gegeben. Hochmair: „Bei ihrem Aufkommen hat es einen richtigen Hype gegeben, doch bald merkte man, dass nur ein geringer Prozentsatz der damit behandelten Patienten auch wirklich davon profitierte. Heute wissen wir zum Beispiel, dass Patienten, die ein bestimmtes Oberflächenprotein der Zellmembran verstärkt ausbilden (= hohe PDL1-Expression), deutlich besser auf die Immuntherapie ansprechen als auf die Chemotherapie. Hingegen sprechen Patienten mit raschem Tumorwachstum und negativer PDL1-Expression kaum auf die Immuntherapie an. Somit können wir nun auch die Immuntherapie viel zielgerichteter einsetzen. Wir gewinnen also auch für die Immuntherapie ein immer besseres Verständnis.“

Moderne Diagnostik leistet wichtigen Beitrag

Ein weiterer wesentlicher Punkt sei die gute interdisziplinäre Zusammenarbeit, und hier strich Hochmair vor allem die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit den Pathologen hervor. So ist zum Beispiel das Monitoring – also die Beobachtung, wie Patienten auf die jeweilige Therapie tatsächlich ansprechen – dank neuer Methoden deutlich besser geworden. Eine dieser Methoden ist die Liquid Biopsy, bei der man Tumorzellen oder Tumor-DNA im Blut analysiert. Darauf basierend könne man, so Hochmair, die Therapie dementsprechend optimal anpassen. Für die Zukunft sind auch hier spannende neue Erkenntnisse zu erwarten, die die Therapien noch zielgerichteter werden lassen.

Resümee

Die Medizin hat heute beim Bronchuskarzinom in der täglichen Praxis viele individualisierte Therapien im „Köcher“ – und dank des besseren Verständnisses der Zusammenhänge, der „Entdeckung“ immer neuer Biomarker und hoch effektiver diagnostischer Methoden können diese auch immer besser und zielgerichteter eingesetzt werden. „Dies ist der Grund, warum heute die Hälfte der Lungenkrebspatienten bereits in der Erstlinientherapie mit einer zielgerichteten oder einer Immuntherapie behandelt werden kann. Beide Therapieformen sind der Chemotherapie hinsichtlich der Verträglichkeit, Ansprechrate, Überlebensrate und Lebensqualität überlegen. Also bei allen Parametern, die in der Palliativ-Medizin wichtig sind! Und auch für uns Ärzte ist das eine enorm positive Situation, dass wir unseren Patienten viel besser helfen können“, so Hochmair abschließend.

3. Oktober 2017

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet. Sofern nicht anders vermerkt, gelten alle Bezeichnungen sowohl für Frauen als auch für Männer.

 

Kontakt

Oberarzt Dr. Maximilian Hochmair

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Leiter des Arbeitskreises für „Pneumologische Onkologie” der ÖGP

Leiter der Onkologischen Ambulanz und Tagesklinik – Pav. Leopold I,
Respiratory Oncology Unit (ROU)
Otto-Wagner-Spital
Sanatoriumstraße 2
1140 Wien
+43-1-910 60-41824
E-Mail: maximilian.hochmair@wienkav.at

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